Mobiles Arbeiten braucht Vertrauen und Organisation

Seit es Corona gibt, ist Remote Work, also mobiles Arbeiten, das neue heiße Ding. Doch nur, weil Arbeitgeber notgedrungen die Möglichkeit bieten müssen, Jobs von zu Hause aus zu erledigen. Der teilweise gefühlte Kontrollverlust führt in klassischen Chefetagen auch zu Misstrauen: Wird außerhalb der Büros wirklich gewissenhaft gearbeitet oder machen sich die Angestellten einen faulen Lenz? Reinblau ist da viel weiter, die Webagentur setzt bereits seit ihrer Gründung vor fünf Jahren als Genossenschaft voll auf Remote - und das mit Erfolg. Alles eine Frage der Organisation, sagt Reinblau-Mitglied Dietmar.

Der in Berlin lebende Scrum-Master kennt beide Arbeitsstrukturen, früher hatte er Bürojobs in verschiedenen Verlagen. Den direkten Austausch mit Kollegen mochte der inzwischen 50-Jährige durchaus. „Auch der Abstand zwischen privat und Arbeit ist gut.“ Zwei Tage gemeinsam im Büro verbringen und den Rest der Woche von zu Hause aus arbeiten – dieses Modell könnte sich das Reinblau-Gründungsmitglied gut vorstellen. Denn: „Autonomes Arbeiten ist für mich viel wichtiger als mobiles.“

Portraitfoto Dietmar Gigler

Dietmar Gigler
ist Workshop-Facilitator und Scrum-Master. Er entwickelt Teams weiter und hilft Organisationen dabei, ihre Services besser zu machen. Besonders am Herzen liegen ihm dabei das kollaborative Lernen und das Entwickeln agiler Organisationsstrukturen.

Doch was die Agentur betrifft, hat Remote entscheidende Vorteile. Die rund 20 Mitglieder der Genossenschaft sind über ganz Deutschland verteilt. Sie leben in Berlin, Bochum, München, Leipzig und Rostock. „Eine Kollegin lebte auch mal ein Jahr in Kanada.“ Umziehen nur wegen der Arbeit? Aus Reinblau-Sicht ist das unnötig. Zwar gab es bis vor einem Jahr Bürogemeinschaften in Bochum und Berlin, Dietmar mochte die zehnminütige Fahrradfahrt ins Büro. Es sei ja auch gut, mal von zu Hause rauszukommen. Doch mobiles Arbeiten ist eben von überall möglich und spart Zeit. Eigene Räume hat Reinblau nun nicht mehr, bei Bedarf wird einfach ein Büro angemietet. Und drei-, viermal im Jahr „versuchen wir ein Teamtreffen in Berlin oder Bochum zu machen“.

„Supergute Erfahrungen“ mit Online-Workshops

Die Zusammenarbeit mit den Kunden gestaltet Reinblau freilich flexibel. Manchen ist ein Vor-Ort-Termin wichtig, „und es ist auch sehr gut, wenn man sich persönlich kennt“. Ansonsten mag Dietmar das Remote-Arbeiten mit Kunden sehr - und das nicht erst seit Corona. „Wir haben mit Workshops supergute Erfahrungen gemacht. Die sind überhaupt nicht schlechter als solche vor Ort.“ Von Mischformen aus Präsenz und Remote dagegen ist Reinblau nach fehlgeschlagenen Versuchen, „die Kommunikation war nicht gut“, abgekommen. Seitdem finden Workshops selbst dann virtuell statt, wenn einige Teilnehmer im selben Raum sitzen.

Der Organisationsaufwand ist ohnehin von anderen Faktoren abhängig: „Je größer die Gruppe ist und je weniger Reinblau-Kolleginnen und -Kollegen teilnehmen, desto mehr Zeit braucht man für die Vorbereitung.“

Autonomes Arbeiten ohne klassische Hierarchien

Und wie läuft die interne Kommunikation bei Reinblau? Für Remote Work ist das gegenseitige Vertrauen aller essenziell. Bei der Webagentur gibt es da laut Dietmar keine Probleme: „Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind Genossen, also Teilhaber. Da hat man ein anderes Commitment als viele Angestellte.“ Außerdem trägt die holakratische Struktur der Agentur, regelbasiertes autonomes Arbeiten ohne klassische Unternehmenshierarchien, entscheidend dazu bei, dass in der Agentur alle an einem Strang ziehen. Wenn Fragen auftauchen, ist rasch Hilfe zur Hand. „Unser Haupttool ist ein Chat auf unserem eigenen Server“, erläutert das Vorstandsmitglied. „Wenn ich anfange zu arbeiten, sehe ich, wer von den anderen präsent ist. Hat man ein Problem, schreibt man es rein. Und wenn ich fünf Sachen hab‘, die gleich wichtig sind, und nicht weiß, womit ich anfangen soll, kann man sich auch mal kurz mit jemandem in Zoom treffen.“

Wichtig: der private Austausch

Darüber hinaus gibt es regelmäßig virtuelle Meetings. Eine herausragende Rolle kommt dabei dem von den Kolleginnen und Kollegen benannten Facilitator zu. Er organisiert und moderiert die Zusammenkünfte. „Der Zweck eines Meetings ist, dass alle Teilnehmende das kriegen, was sie brauchen“, betont Dietmar. Eine Herausforderung bestehe darin, nicht nur den beruflichen, sondern auch den privaten Austausch zu ermöglichen. Deshalb gibt es beispielsweise zu Anfang einen Check-In. „Da kann man sagen, in welcher Situation man gerade ist. Das fördert die Empathie. Wenn jemand einen stressigen Tag hat oder genervt ist, muss ich da nicht noch draufhalten.“

„Man schafft gleich viel in kürzerer Zeit“

Dietmars Erfahrung ist, dass Remote-Meetings integrativer sein können als Besprechungen vor Ort. Institutionalisiert sind bei Reinblau etwa Feedback-Runden: Alle äußern sich der Reihe nach zum Thema, ohne dass andere dazwischenquatschen dürfen. So kommen auch mal die stilleren Kolleginnen und Kollegen zu Wort. Trotz aller organisatorischen Details: Wer wie Reinblau viel Arbeit hat, muss ökonomisch denken. Das gilt gerade für die internen Meetings. „Es ist ja ein Gesetz: Je länger man Zeit hat, desto länger dauert es auch“, sagt Dietmar schmunzelnd. „Wir haben gemerkt: Man schafft gleich viel in kürzerer Zeit.“

Daran, dieser Gedanke kommt einem unwillkürlich, könnte sich so mancher Arbeitgeber ein Beispiel nehmen.

Unterschied zwischen Remote Work und Homeoffice

Mobiles Arbeiten oder Remote Work wird oft mit Homeoffice gleichgesetzt. Das ist aber falsch. Bei Letzterem ist eine vertragliche Zusatzvereinbarung vorgeschrieben, außerdem muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Arbeitsschutzbedingungen auch im privaten Bereich gewährleistet sind. Dazu können beispielsweise höhenverstellbare Tische und ergonomische Stühle gehören. Bei Remote Work entfallen diese Vorgaben, bereit gestellt werden muss nur Arbeitsmaterial wie Rechner und Smartphone. Zudem entfällt in der Regel ein Arbeitsplatz im Büro.